family object code Fotos

2017

 

Dinge haben einen Zweck. Ihre Bedeutung verändert sich im Laufe der Zeit. Zeiten ändern sich. Kollektive, Solisten und ganze Staatsgebilde. Dinge konservieren und transportieren Erinnerungen. Sie sind bewegliche Archive. In einigen Fällen haften den Gegenständen Geschichten an, die über Generationen weitergegeben werden. Diese Tradierungen macht der Fotograf Kai-Uwe Schulte-Bunert zum Thema seiner Arbeit. Er öffnet ein privates und zugleich ein künstlerisches Archiv – und wir Betrachter stehen mit ihm vor dem Spiegel unserer individuellen Erinnerung, aber auch einer gesellschaftlichen Gedächtniskultur, der kollektiven. Lebendige Geschichte(n): der gusseiserne Topf, mit Initialen besticktes Küchentuch, Großvaters Zigarre, der alte Dolch.. 

Ihr Wert liegt in ihrer Bedeutung und den damit verbundenen Codes. Diese Dinge stecken in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen – zum einen in subjektiven, denn jemand hat sie ‚angeschafft‘ und weitergegeben, zum anderen in kulturell-narrativen, denn sie gehörten einer anderen Gesellschaft an. Spuren der Vergangenheit. Ins Heute gerettet, um zu beweisen und zu erzählen. Die Zigarre wäre heute nicht mehr da, wenn ein mit ihr verbundenes Versprechen eingelöst worden wäre…   

In der fotografisch-künstlerischen Praxis wird mit Archiven unterschiedlich umgegangen. Neben der Recherchearbeit visualisiert uns Schulte-Bunert in seiner eigenen Bildsprache eine ästhetisch konzentrierte Übersetzung, die von der Funktionalität des Mediums und der Historie der Fotografie handelt, aber auch die Banalität von Dingen auf einen Zeitstrahl bannt, der bis ins Jetzt reicht. Die Gegenstände werden so in eine Heimat und Identität verwurzelt – ein fließender Übergang von Wissen, anfassbar, physisch. „Bilder haben eine Kraft, die Topografie unserer Erinnerungen zu zeichnen und zugleich einen Vorschlag für die Zukunft zu präsentieren“, sagt der Künstler im Interview mit der Kuratorin.    

Die in Serie recht streng abgebildeten Dinge haben eine Inszenierung gemeinsam: sie wurden nicht auf Film mit der alten Plattenkamera seines Großvaters abgelichtet, sondern Schulte-Bunert hat sie kontinuierlich alle durch ihre gebrochene Mattscheibe fotografiert. Der Riss wird so unweigerlich Teil der stilllebenartig abgebildeten Gegenstände, vielmehr sogar wird die gesprungene Mattscheibe der Zeiss Ikon Donata des Großvaters zum Filter, mit dessen Hilfe sich die Bedeutung der Gegenstände materialisiert. Neben der fotohistorischen Wende zur digitalen Fotografie schlägt der Künstler damit weitere wichtige Brücken. Denn einerseits wird hier zum Stilmittel, was heutzutage vielmehr sofort ausgetauscht oder saniert wird: ein Riss im Glas oder Display. Und andererseits kaufte sein Großvater, Hugo Schulte-Bunert, zur Zeit, da Kai-Uwes Vater seine Kindheit in Halle (Saale) erlebte, eben diese alte, noch komplett erhaltene Kameraausrüstung in der Stadt, die den Enkel nun zur Ausstellung einlädt. Die Kamera wird nach etwa 90 Jahren wieder in ihrer Heimat sein – und mit ihr charmant in Szene gesetzt ausgewählte Familienbilder aus einhundert Jahren Geschichte. Szenografisch an noch zwei anderen Orten in der Tenne der ehemaligen Schwemme-Brauerei installiert, kann sowohl ein Teil aus der Serie der Dinge als auch Fotografien von Fundstücken der alten Brauerei betrachtet werden.

#family #object #code zeichnet nicht zuletzt die archaische Matrix von Fotografie als Medium, das früher in Archiven nach quasi bibliothekarischen Kriterien verschlagwortet wurde oder in heimischen Fotoalben, heute in digitalen Ordnern gespeichert wird und allgemein nach Eigenschaften wie  ‚instagramable‘ eingeordnet wird. Zum Auflösen von alten und modernen Codes lädt der Künstler am 26. Oktober ab 17 Uhr zur Vernissage und Podiumsgespräch mit Gernot Lindemann (Schwemme e.V.) und Kuratorin Jana M. Noritsch (Collectors Club Berlin) ein. 

Text: Jana M. Noritsch