Nachbarn Fotos
"Anfang März hat sich der Fotograf auf die Suche nach Spuren der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Arnstadt begeben. Sein inhaltlicher Blick ist auf die Menschen gerichtet, die vor 100 Jahren in der aufstrebenden Industriestadt zu Hause waren. Erhalten haben sich bis auf wenige Ausnahmen die Häuser, die sie bewohnten. Schulte-Bunert zeigt die Gebäude zumeist ausschnitthaft, ohne konkrete Verweise auf die städtische Struktur. Mystisch fallen bewegte Schatten auf frisch geputzte Fassaden und schmiedeeiserne Hoftore, die im hellen Licht erstrahlen. Durch Torbogen werden Schaufenster sichtbar, aus der Dunkelheit geht der Blick ins Offene.
Für den Fotografen wird die Architektur zu einer Kulisse für Projektionen, die einen Dialog über das Vergangene anregen und Fragen stellen, die erst bei genauem Betrachten sichtbar werden. Stuck verweist wie die profilierten Fensterlaibungen und die filigran gestalteten Metallgitter auf gewachsenen Wohlstand und die Zugehörigkeit zum Bürgertum. Die jüdischen Mitbürger lebten mittendrin, Hauswand an Hauswand mit ihren christlichen Nachbarn.
Auf einem der Bilder, das hier in der Ahnengalerie des Arnstädter Schlosses hängt, ist die Bachkirche zu sehen, die Kirche, in der Johann Sebastian Bach 1703 seiner erste Organistenstelle antrat. Davor ein alter Baum, der sich nach der anderen Seite neigt, zu einem nebenstehenden Partner. Über die Mauer fällt der Blick auf ein helles Gebäude, die Erfurter Straße 15, das Warenhaus des Kaufmanns Max Pommer. Die Gauben, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Dach befanden, sind verschwunden, aber die Anordnung der oberen Fenster hat sich erhalten: 3-2-1-1-1, ein ungewöhnlicher Rhythmus. Ob die schönen Schaufenster bis in die Gegenwart existieren, die für die Anziehungskraft des Geschäftes sorgten, bleibt verborgen. Klein und geduckt wirkt das Gebäude im Angesicht der Kirche. Das Licht spielt auf der dunklen Kirchenmauer und korrespondiert mit der besonnten Fassade des Wohnhauses.
Licht und Schatten bestimmen auch das Bild von der Karl-Marien-Straße 11, dem Wohnhaus des Viehhändlers Siegmund Katz und seiner Familie. Die linke Eingangstür erscheint durch die große Helligkeit flächig, während die Nummer 11 in mildes Licht getaucht ist und dadurch Plastizität und Räumlichkeit entfaltet. Wärme geht von dieser Tür aus, eine Berührung, die ein Geheimnis birgt. Die Figuren dagegen flüchtig, ohne Kenntlichkeit.
Das Haus von Fanny Katzenstein in der Kasseler Straße 31 erstrahlt Pastellfarben im Sonnenlicht. Beherrschendes Element der Vorderfront ist ein Erker, der bis in das Dach reicht. Davor reckt zeichenhaft ein Baum seine ihm verbliebenen Stümpfe in den Himmel, unklar, ob je wieder Leben aus dem Holz treiben wird. Doch dahinter, vor der Tür des Hauses, ein Kind.
Den Rundgang eröffnet und schließt der jüdische Friedhof in Plaue, der durch eine Burgruine gekennzeichnet ist. Das Bild spiegelt den Inbegriff deutscher Romantik.
Kai-Uwe Schulte-Bunerts Serie macht eines deutlich: Nahezu alle Hauser, in denen jüdische Bürger gewohnt haben, weisen kaum Spuren von Vergänglichkeit auf ihrer Außenhaut auf. Doch der Fotograf lässt uns durch seine Arbeit mit den Schatten tiefer schauen in die Geschichte."
Doris Weilandt
Asuzug aus der Rede zur Ausstellungseröffnung im Schlossmuseum Arnstadt